Estlands Geschichte

Estland kann auf eine spannende Geschichte zurückblicken, die vor allem durch die zahlreichen und wechselnden Okkupationen durch andere Staaten wie Dänemark, Russland oder Deutschland geprägt ist. Nur langsam fand das estnische Volk zu seiner Identität zurück und zeigt sich heutzutage als unabhängiges und weltoffenes Land im Norden Europas.

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Die Anfänge des baltischen Staates

Mesolithikum: Etwa 9000 v. Chr. siedeln die ersten Menschen auf dem Gebiet des heutigen Estlands an, nachdem die Eiszeit ein Ende gefunden hat. Überreste von Siedlungen und Werkzeugen zum Fischen oder Jagen werden vor allem in der Nähe von Gewässern wie dem Võrtsjärv-See sowie an der Küste Estlands gefunden. Hier jagen die Küstenbewohner vor allem Seehunde, wohingegen im Landesinneren vornehmlich Elchfleisch auf dem Speiseplan steht.

Neolithikum: Ab 4200 v. Chr. beginnt auch in Estland das Kultivieren des Landes. Es werden hauptsächlich Weizen und Gerste angebaut, doch diese Lebensmittel machen zunächst nur einen sehr kleinen Teil der Nahrungsquellen der frühzeitlichen Esten aus. Etwa ab 2900 v. Chr. wird dann auch Nutzvieh gehalten. Darüber hinaus bilden die Esten ein breites Netzwerk zu benachbarten Ländern, so dass etwa Bernstein aus Litauen oder Feuerstein aus West-Russland nach Estland gelangt.

Bronzezeit: In der jüngeren Bronzezeit um 1000 v. Chr. wird zum ersten mal Ackerbau betrieben, nachdem die West- und Nordküste Estlands nun dicht besiedelt sind. Felder werden auf Dauer angelegt und während der Brachzeit als Weideland für Rinder genutzt. Steine, die zuvor auf den Ackerflächen lagen, werden zu kleinen Mauern aufgehäuft, die auch heute noch im Norden Estlands zu sehen sind. Zudem prägen zahlreiche skandinavische Einflüsse die estnische Geschichte und Sprache.

98 n. Chr. : Der römische Historiker und Senator Tacitus erwähnt Estland zum ersten Mal schriftlich in seinem Werk "Germania".

600-800 n. Chr.: Festungen wie Iru in der Nähe von Tallinn werden gebaut und etablieren sich als die Machtzentren Estlands, um die herum größere Dörfer entstehen. Währenddessen nimmt der Einfluss der Skandinavier, die sich nun über das Baltische Meer aufmachen und auf dem Gebiet des heutigen Russlands erste Kolonien gründen, zu.

800-1200 n. Chr.: Im Wikinger-Zeitalter machen sich auch estnische Stämme auf dem Wasserweg auf bis zum Byzantinischen Reich oder in den Orient, um dort Handel zu betreiben. Vornehmlich von der Insel Saaremaa aus gehen die estnischen Wikinger auch auf Raubzüge im Ostseeraum.

Die Christianisierung Estlands

1193: Papst Coelestin III. ruft zum Kreuzzug gegen Heiden in Nordeuropa auf.

13. Jahrhundert: Die Folgezeit ist geprägt von dem Versuch der Christianisierung Estlands durch verschiedene religiöse Institutionen wie die Römische Kurie, den Kreuzbrüderorden (später in den Deutschen Orden eingegliedert) oder die Erzbischöfe von Hamburg-Bremen. Auch die Dänische und Schwedische Krone versuchen, die baltische Küste zu erobern. Die Eroberung endet zunächst mit der Aufteilung Estlands: Der Norden fällt an die Dänische Krone, Süd- und Westestland an den Deutschen Orden.

1208-1227: Deutsche Kreuzritter nehmen das wichtige estnische Schloss Otepää ein. Aufgrund großer Widerstände der Bewohner Estlands dauert eine vollständige Übernahme der Kirche jedoch mehrere Jahrzehnte. Die erste Kathedrale wird in Tallinn denn auch erst in den späten 1220ern erbaut. 

1219: Unter König Waldemar II. fällt der Norden Estlands in der "Schlacht von Lyndanisse" an Dänemark.

1230: Die Stadt Reval wird durch den Deutschen Orden gegründet - das heutige Tallinn. 1248 wird der Stadt vom dänischen König das lübische Stadtrecht verliehen.

1346: Nach dem sogenannten "Aufstand in der Georgsnacht" verkauft Dänemark seinen Teil Estlands an den Livländischen Orden, welcher sich aus dem 1236 vom Großfürstentum Litauen geschlagenen Kreuzbrüderorden entwickelt und ebenfalls zum Deutschen Orden gehört.

1370: Der "Friede von Stralsund" wird zwischen Dänemark und dem Bündnis der Hansestädte geschlossen. Estnische Städte wie Tallinn, Tartu, Viljandi und Pärnu sind Mitglieder der Hanse und betreiben regen Seehandel im Ostseeraum.

Estland unter schwedischer und russischer Flagge

1410: In der "Schlacht von Tannenberg" erleidet der Deutsche Orden eine schwere Niederlage gegen die Polnisch-Litauische Union, so dass seine Macht immer weiter schrumpft.

1520er Jahre: Die Reformation erreicht auch Estland, lutherische Kirchen werden errichtet und beispielsweise Dominikaner-Klöster geschlossen.

1558-1583: Im "Livländischen Krieg", den der selbsternannte erste russische Zar Iwan IV. "Der Schreckliche" gegen Schweden, Polen-Litauen und Dänemark führt, um das strategisch wichtige Livland (heute das Gebiet von Estland und Lettland) zu erobern, muss sich Iwan nach Eroberungen zu Beginn des bewaffneten Konflikts geschlagen geben.

Währenddessen übernimmt Schweden in immer weiteren Teilen Estlands die Kontrolle, obwohl der Süden zunächst (bis 1629) zunächst an Polen fällt. Der Krieg endet mit dem "Waffenstillstand von Jam Zapolski" mit Polen-Litauen, wodurch Iwan IV. auf Livland verzichtet, jedoch bereits eroberte russische Territorien zurückerhält. Im "Friedensvertrag von Pljussa" erkennt der russische Zar darüber hinaus Estland der Schwedischen Krone zu. 

1632: In Dorpat (heute Tartu) wird die erste estnische Universität gegründet.

1700-1721: Im "Großen Nordischen Krieg", den Russland gegen Schweden gewinnt, fällt Estland dann im Rahmen des "Friedens von Nystad" an Zar Peter I. Trotzdem bleibt der baltische Staat geprägt von deutschen Einflüssen. Es ist die Hochzeit der deutschen Eliten in Estland, die das meiste Land besitzen, zahlreiche Unternehmen führen und die Leibeigenen sowie lutherischen Kirchen kontrollieren. Erst zum Ende des 19. Jahrhunderts hin bemüht sich Russland um eine "Russifizierung" Estlands. 

1750-1840: Im späten 18. Jahrhundert beginnt jedoch die Aufklärung in Estland, welche einen Höhepunkt in der Abschaffung der Leibeigenschaft 1819 findet. Dadurch können auch einfache Leute in die großen Städte ziehen oder Land kaufen. Auch die Gelehrten und Studenten an der Universität Tartu tragen unter anderem durch Literatur für den Bauernstand und rationale, aufgeklärte Denkansätze dazu bei, dass die Esten sich ihrer nationalen Identität besinnen. Estnische Zeitungen werden gedruckt, in Schulen wird auf Estnisch unterrichtet und das Gedicht "Kalevipoeg" wird ebenfalls in der Landessprache veröffentlicht. 

Die Unabhängigkeit Estlands

Ab 1905: Die ab 1890 beginnende "Russifizierung" Estlands, schlechte Arbeitsbedingungen sowie das neu gewonnene nationale Bewusstsein führen Anfang des 20. Jahrhunderts zu Streiks und einer zunehmenden Unzufriedenheit mit Russland. Auch die blutige Niederschlagung von Demonstrationen im Januar 1905 löst die "Russische Revolution" aus, welche jedoch weithin erfolglos bleibt. In der Folgezeit rebellieren die Esten weiter gegen Russland, was russische Soldaten auf den Plan ruft, welche hunderte Esten töten und viele weitere nach Sibirien verbannen. Zudem werden Gewerkschaften und fortschrittliche Zeitungen sowie Organisationen verboten.

1914-1918: Im Ersten Weltkrieg werden etwa 100.000 Esten zum Kampf für Russland eingezogen und 10.000 fallen im Kampf. Im Rahmen der "Februarrevolution" muss Zar Nicholas II. 1917 abdanken und die Bolschewiki übernehmen nach der "Oktoberrevolution" im selben Jahr die alleinige Führung Russlands. Auch in Estland kommt kurzzeitig ein bolschewistisch dominiertes Komitee an die Macht, welches jedoch unter anderem aufgrund der Nähe zu Moskau 1918 keinen demokratischen Rückhalt in der estnischen Bevölkerung findet.

24. Februar 1918: Die Republik Estland wird ausgerufen, was jedoch vorerst nur auf dem Papier gilt, da deutsche Truppen kurz darauf den baltischen Staat besetzen.

1918-1920: Nach dem Abzug der deutschen Truppen im November 1918 marschiert einige Tage später die Rote Armee in Estland ein, wodurch es zum Unabhängigkeitskrieg kommt, welcher am 2. Februar 1920 mit dem "Frieden von Dorpat" endet, durch welchen Sowjetrussland die Unabhängigkeit Estlands "für alle Zeiten" anerkennt. 

1920-1940: Estland erlebt eine Blütezeit, in welcher das Land internationale Beziehungen aufbaut, die Wirtschaft in Schwung bringt und von einem Parlament regiert wird. Nach einem Staatsstreich vom 12. März 1934 errichtet jedoch Konstantin Päts ein autoritäres Regime, welches aber nicht vollkommen ohne demokratische Ordnung auskommt. 

7. Juni 1939: Zwischen Hitler-Deutschland und Estland wird ein Nichtangriffspakt geschlossen.

Estland als Spielball Deutschlands und der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg

August 1939: Durch den zwischen Deutschland und der Sowjetunion geschlossenen Hitler-Stalin-Pakt bzw. das Zusatzprotokoll wird Estland der sowjetischen Interessensphäre zugesprochen. 

Juni 1940: Estland wird daraufhin von der Sowjetunion okkupiert. Molotow stellt Estland ein Ultimatum, so dass eine sowjetisch akzeptierte Regierung aufgestellt werden muss. Nachdem zehntausende russische Soldaten in Estland stationiert werden, wird eine Marionetten-Regierung "gewählt", welche 21. Juli 1940 die Estnische Sozialistische Sowjetrepublik (Estnische SSR) ausruft. Im Zuge dessen fliehen etwa 70.000 Esten gen Westen und circa 10.000 Einwohner werden in Arbeitslager in Sibirien deportiert. 

August 1941: Deutschland bricht sowohl den Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion als auch jenen mit Estland und besetzt letztgenanntes Land in August 1941. Zunächst als große Befreiung gesehen, entwickelt sich die deutsche Besatzung schnell als ebenso tödlich. Juden, Kommunisten und andere "Verräter" flohen vornehmlich nach Finnland. Die in Estland verbliebene jüdische Bevölkerung wurde bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges nahezu vollständig von deutschen Soldaten ermordet. 

1944-1945: Estland wird erneut von der Roten Armee besetzt und die Estnische SSR lebt wieder auf. Zuvor wurden Bomben über Tallinn, Narva, Tartu und andere estnische Städte. Narvas Altstadt wurde dadurch komplett zerstört. Am Ende des zweiten Weltkrieges hat Estland rund 28.0000 Bewohner entweder durch Flucht, Deportationen oder Ermordungen verloren.

1944-1991: Unter russischer Herrschaft kommt es zu einer massiven Einwanderung von Russen nach Estland, so dass Esten in einigen Regionen eine Minderheit darstellen. Darüber hinaus werden wieder Deportationen vorgenommen und circa 19.000 Esten werden exekutiert.

Die neuere Geschichte Estlands

20. August 1991: Nach der durch Michail Gorbatschow eingeführten Glasnost und Perestrojka und dem langsamen Zerfall der Sowjetunion ruft Estland 1991 gegen den Willen Russlands seine Unabhängigkeit aus. Im September erkennt dies auch die Sowjetunion an und 1994 ziehen unter Boris Jelzin die letzten russischen Truppen aus Estland ab.

1992: In Estland finden die ersten Wahlen unter der neuen Verfassung statt. Diese gewinnt knapp die "Pro Patria" Partei und der Historiker Mart Laar wird der erste Premierminister in der Geschichte des Staates.

29. März 2004: Estland tritt der NATO bei.

1. Mai 2004: Estland wird Mitglied der Europäischen Union.

1. Januar 2011: Im Rahmen der Europäischen Währungsunion wird die Estnische Krone durch den Euro abgelöst.

2016: Im zweiten Halbjahr 2016 übernimmt Estland die EU-Ratspräsidentschaft, nachdem Großbritannien aufgrund des "Brexit"-Votums auf diese verzichtet hat. Normalerweise wäre Estland erst im Jahre 2018 an der Reihe gewesen.

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