Russland
Unendliche Weiten und zahllose Schätze
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Russlanddeutsche bilden bis heute eine bedeutende Bevölkerungsgruppe in Deutschland. Laut Sachstand des Deutschen Bundestages wanderten zwischen 1950 und 2014 2.369.506 Personen aus der ehemaligen UdSSR zurück nach Deutschland. Viele Deutsche wissen, dass in der Bundesrepublik zahlreiche Mitbürger mit den Nachnamen Iwanow, Petrow oder Popow wohnen. Doch ob diese von Russlanddeutschen abstammen oder was Russlanddeutsche überhaupt sind, ist vielfach nicht bekannt.
Dabei steckt eine spannende Geschichte hinter diesen Namen und auch heute noch zeugen in Russland zahlreiche Spuren von der bewegten Vergangenheit der Bevölkerungsgruppe. Wer hieran interessiert ist und mehr darüber erfahren möchte, begibt sich am besten an den Ort des Geschehens und sucht im ehemaligen Zarenreich nach Überbleibseln deutscher Einwanderer. Ganz nebenbei kann er dann auch noch Russland von seiner schönsten Seite kennenlernen.
Bei den sogenannten "Russlanddeutschen" - oder je nach Einzugsgebiet auch ""Wolgadeutsche", "Krimdeutsche", "Sibiriendeutsche" etc. genannt - handelt es sich um Bewohner Russlands bzw. anderer Staaten der ehemaligen Sowjetunion mit deutschen Wurzeln. Diese siedelten vor allem im 18. und 19. Jahrhundert in das damalige Zarenreich über und gingen dort vornehmlich der Landwirtschaft nach. Viele Russlanddeutsche bzw. ihre Nachfahren sind jedoch im Verlaufe der Zeit nach Deutschland oder in andere mitteleuropäische Länder zurückgekehrt. Aber auch in den USA, Kanada oder Südamerika lassen sich heute Gruppen Russlanddeutscher finden.
Die Beziehungen zwischen deutschen Fachleuten, Arbeitern und Händlern und Russland hat eine lange Tradition und schon bevor die ersten "richtigen" Russlanddeutschen in das osteuropäische Land einwanderten, wurden Deutsche auf russischem Gebiet gesichtet. So etwa um das 12. Jahrhundert in Nowgorod, wo ein Hansekontor bestand, welches Lübecker Kaufleute in die damalige Kiewer Rus lockte. Im 15. Jahrhundert begann dann Iwan III. als erster, aber nicht einziger, Zar damit, ausländische Fachkräfte anzuwerben. So fanden viele Deutsche Ihren Weg nach Moskau oder Sankt Petersburg.
Obschon also einige Deutsche bereits zuvor nach Russland übersiedelten, ist der Beginn der Geschichte der Russlanddeutschen doch auf den 22. Juli 1763 zu datieren. An diesem Datum erfolgte das sogenannte "Einladungsmanifest" von Katharina II., die selber aus Deutschland stammte und den aufgeklärten Absolutismus verfolgend und von deutschen Ministern beraten, europäische Facharbeiter ins Land holen wollte, um nur spärlich besiedelte Gebiete zu bewirtschaften. Zudem wollte Sie Russland vor nomadierenden Vertretern der "Goldenen Horde" abschirmen, die regelmäßig die Wolgaregion angriffen.
Katharina II. hatte ein solches Manifest bereits 1762 in Deutschland verbreiten lassen, allerdings erfolgte hierauf kein allzu großer Zuspruch. Da ein Jahr später jedoch der 7-jährige Krieg endete und viele Deutsche auf der Suche nach Arbeit und neuer Hoffnung waren, hatte die Zarin mit Ihrem zweiten Manifest deutlich mehr Erfolg. Hierin versprach sie zahlreiche Privilegien wie kostenloses Land, Religionsfreiheit, Steuerfreiheit für einen gewissen Zeitraum, Kredite für den Aufbau eines Unternehmens, Geld für die Beschaffung von Werkzeug und anderen Hilfsmitteln, Selbstverwaltung unter Beibehaltung der deutschen Sprache, Befreiung vom Militärdienst etc. Hierfür wurden die Einwanderung nach Russland sowie ein Schwur auf die Loyalität zum Zarenreich gefordert.
Die aussichtsreichen Privilegien sowie die überstandenen Strapazen nach dem 7-jährigen Krieg und die daraus resultierende Perspektivlosigkeit in Deutschland lockten viele Deutsche an. Zudem fühlten sich die Bewohner Hessens besonders angesprochen, da Ihnen der Einzug zum Militär unter Frederick II. drohte. Aber auch viele Bewohner Bayerns, Badens, der Pfalz und der Rheinprovinz wagten die Reise gen Osten. Reizvoll waren vor allem auch die großen Flächen an Land, die im Russischen Reich zur Verfügung standen. In Deutschland musste das Land häufig unter den Söhnen einer Familie aufgeteilt werden, so dass es bald keine Kapazitäten mehr gab.
Bis 1767 folgten aus genannten Gründen etwa 30.000 Menschen dem Ruf Katharinas. Was für viele als Hoffnung auf ein besseres Leben begann, entpuppte sich schnell als eine unerfüllbare Wunschvorstellung. So überlebten viele Deutsche bereits die Anreise nach Russland nicht. Diejenigen, die es doch schafften, sahen sich schon bald weiteren Schwierigkeiten ausgesetzt. Denn die Aussiedler durften nicht wie versprochen, selbst ein Stückchen Land wählen. Vielmehr wurde ihnen eine Fläche - zumeist in der Wolgaregion - zugeteilt. Deutsche, die dem nicht zustimmten, wurden in großen Städten, vornehmlich in St. Petersburg, festgehalten und lebten dort in Ausländersiedlungen am Rande der Stadt. Aufgrund der fehlenden Russischkenntnisse erhielten sie den Namen "Nyemtzy", was so viel wie "dumm" bedeutet.
Darüber hinaus waren die landwirtschaftlichen Gegebenheiten in Russland nicht mit denen in Deutschland vergleichbar und ungleich härter. Ernteausfälle und Hungersnöte waren die Folge. Allerdings schafften es einige Deutsche trotzdem, landwirtschaftlichen Erfolg zu haben und so ließ es sich in Russland ab Ende des 18. Jahrhunderts gut leben. Dies zeigt auch die Bevölkerungsanzahl an Russlanddeutschen, die bis 1850 auf über 150.000 Personen anstieg. In den Folgejahren hatten die Siedler aus Deutschland dann aber wieder mit Ernteausfällen und Hunger zu kämpfen, was vor allem an der Knappheit von Ackerfläche lag, die auf immer mehr Menschen verteilt werden musste.
Die zweite Einwanderungswelle der Russlanddeutschen erfolgte dann ab 1789. Hierbei stellten die deutschen Mennoniten die größte Einwanderungsgruppe dar. Diese durften durch ein Edikt aus dem gleichen Jahr kein Land mehr in Deutschland erwerben. So versuchten Sie Ihr Glück in Russland. Zudem war die Befreiung vom Militärdienst sehr attraktiv für Mennoniten, da diese aufgrund Ihrer Religion aller Gewalt abgeschworen hatten. Ab 1871 erfuhr dieses Privileg jedoch kurzfristig einen Dämpfer durch die Politik der "Russifizierung" von Alexander III. Später wurden jedoch Ausnahmen für Mennoniten gemacht.
Die dritte und gleichzeitig längste Einwanderungswelle erfolgte von 1804 bis etwa 1862 unter Alexander I., der "bessere" Deutsche ins Land holen wollte. Hierzu waren einige Voraussetzungen von den zukünftigen Russlanddeutschen zu erfüllen. Beispielsweise mussten sie als Familie kommen und nicht allein als Ehepaar. Daneben musste ein gewisses Vermögen vorhanden sein und ein "gute Charakter" war zu beweisen. Deutsche wanderten diesmal vor allem aus dem Südwesten und während der ersten Jahre der Welle ein. Zu diesem Zeitpunkt griff Napoleon die Region an.
Die Russlanddeutschen behielten zwar ihre eigene Kultur und waren weitgehend abgeschottet von der russischen Bevölkerung. Dennoch gab es einige Vermischungen und die Deutschen lernten beispielsweise, russische Spezialitäten wie "Blini", "Borschtsch" oder "Goluptsi" zu kochen. Zudem sprachen sie mit einem speziellen Dialekt, der sich vom Hochdeutschen unterschied und einige russische Begriffe beinhaltete. Außerdem heirateten einige Deutsche in russische Familien ein. Vor allem im Zweiten Weltkrieg war dies zu beobachten, um einer Deportation zu entgehen.
Waren die Jahre um 1850 noch von landwirtschaftlichen Erfolgen gekrönt, sahen sich die Russlanddeutschen - wie schon angedeutet - ab 1871 ganz anderen Problemen ausgesetzt. Durch das sogenannte "Angleichungsgesetz" verloren die deutschen Siedler nach und nach ihren Status. Zugleich waren Sie bei den Russen nicht sonderlich beliebt und Neid keimte auf, da viele russische Bauern als Tagelöhner für die Russlanddeutschen arbeiten mussten, weil sie kein eigenes Land besaßen.
Die Entwicklungen führten dazu, dass viele Russlanddeutsche nach Nord- oder Südamerika auswanderten, wo auch heute noch kleine Gruppen zu finden sind. Andererseits lebten bis zu Beginn des ersten Weltkrieges immerhin noch über zwei Millionen Deutsche in Russland. Aufgrund der Geschehnisse im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurde es für diese jedoch schwer bis unmöglich, ein schönes Leben in Russland zu führen. Nicht nur wurden sie in der Zeit des Ersten Weltkrieges als mögliche Volksverräter behandelt, was unter anderem zu Deportationen nach Sibirien und zur Unterdrückung der deutschen Sprache führte. Ferner mussten die Russlanddeutschen in den Nachkriegsjahren Zwangsabgaben an die Regierung der neu gebildeten Sowjetunion leisten. Eine Dürreperiode ab 1921 sorgte zudem dafür, dass mehr als 100.000 Russlanddeutsche verhungerten.
Unter Stalin kam es dann ab 1929 zur sogenannten "Entkulakisierung". Hierdurch wurden "wohlhabende" Bauern unter anderem enteignet und der Zwangskollektivierung ihres Landes unterworfen. Wer sich widersetzte oder vermeintlich gegen die Kommunistische Partei war, wurde deportiert oder gleich ermordet. Dies führte erneut zu einer Hungersnot, welche etwa 350.000 Russlanddeutsche das Leben kostete.
Ab 1941 wurden die überlebenden Deutschstämmigen dann als potentielle Anhänger des NS-Regimes betrachtet und diskriminiert, deportiert oder getötet. Andere, auf der Seite der deutschen Front lebende Deutsche, wurden von den Nazis (zwangsweise) in die eigenen Truppen mit aufgenommen oder in andere Gebiete übergesiedelt. Wieder andere, auf Seiten der russischen Front angesiedelte Deutsche, wurden von den Sowjets vornehmlich nach Sibirien oder Kasachstan verschleppt. Dort mussten sie oftmals in Kolchosen unter schlechtesten Bedingungen arbeiten. Im Zuge des Zweiten Weltkrieges wurden so über 80 Prozent der Russlanddeutschen deportiert. Etwa 700.000 von ihnen überlebten aufgrund der katastrophalen Zustände nicht.
Auch nach dem zweiten Weltkrieg blieben die überlebenden Russlanddeutschen Außenseiter und es war gefährlich, auf der Straße Deutsch zu sprechen. Erst ab 1955/56 war es ihnen erlaubt, die Sondersiedlungen in Sibirien oder Kasachstan zu verlassen. Ab den 1960er Jahren begann dann langsam die Rückwanderung der Russlanddeutschen nach Deutschland und in andere Teile Europas. Heutzutage leben noch etwa 500.000 Russlanddeutsche in Russland.
Der Begriff "Russlanddeutsche" mag vielleicht etwas verwirren, denn die Auswanderer siedelten keineswegs allein auf dem Gebiet des heutigen Russlands an. Vielmehr fanden Sie auch in zahlreichen weiteren osteuropäischen Regionen eine neue Heimat wie etwa in Wolhynien, in der Süd-Ukraine, auf der Krim, in Bessarabien (das heutige Moldawien) und im Kaukasus. Eine große Gruppe Deutscher ließ sich allerdings vor allem in der Wolgaregion um Saratow nieder; so entstand der ebenfalls für die Russlanddeutschen verwendete Name "Wolgadeutsche".
Die Mennoniten zog es vornehmlich in Richtung Schwarzes Meer und so siedelten Sie vor allem in den Regionen um Chortyzja, der Krim und später aber auch in Samara, in Russland, an. Das südliche Russland sowie die Kaukasusregion war zudem auch das Ziel der Siedler der dritten Einwanderungswelle. Hinzukam, dass einige Immigranten glaubten, am Berg Zion werde sich die Geburt eines zweiten Jesus ereignen, somit wollten sie so weit wie möglich gen Süden auswandern.
Wer von der Geschichte der Russlanddeutschen fasziniert ist und schon immer mal ins vielfältige und farbenfrohe osteuropäische Russland reisen wollte, sollte fernab von Touristenmagneten wie dem "Roten Platz" oder der "Basilius-Kathedrale" nach den Spuren der deutschstämmigen Aussiedler suchen. Diese finden sich natürlich vor allem in den ehemaligen Siedlungsgebieten bzw. in solchen Regionen, in denen auch heute noch Russlanddeutsche beheimatet sind. Nachfolgend sind einige dieser Gebiete aufgezählt, die Sie unbedingt besuchen sollten:
- Saratow (Stadt und Oblast)
- Mennonitenansiedlung "Am Trakt"
- Samara
- Riebensdorf
- St. Petersburg
- Wolgograd
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