Litauen
Dünn besiedelt, reich bewaldet und voller Geschichte
Land & Leute
Obwohl Litauen seit 1990 wieder ein souveräner Staat ist, seit 2004 der EU angehört und in 2015 den Euro eingeführt hat, sind die Kunst, Musik, Kultur und Sprache in Mittel- und Westeuropa immer noch relativ unbekannt.
Dies wird sich mit steigenden Touristenzahlen und intensiverem Austausch im Allgemeinen in der Zukunft hoffentlich ändern, denn Litauen und das Baltikum sind eng verknüpft mit der Geschichte und Tradition Europas, was durch 50 Jahre Sowjetdiktatur in unserem Bewusstsein nahezu ausgelöscht wurde. Dazu ist die litauische Musikszene vielfältig und interessant, also immer eine Reise nach Litauen wert.
Unser Abriss zur Geschichte Litauens macht anschaulich, welche Einflüsse von außerhalb eine Rolle gespielt haben. Durch die unmittelbare Nachbarschaft zu Polen und Deutschland haben Musiker und Komponisten dieser beiden Länder starke Wirkungen entfaltet. Das zeigt sich bis heute in den Veranstaltungsprogrammen der Konzertsäle und Opernhäuser. Was die "Klassik" und die nachfolgenden Strömungen in der Musik angeht, kann man getrost von einer gesamteuropäischen Kultur sprechen. Litauen hat kaum Komponisten hervorgebracht, die über die Landesgrenzen hinaus bekannt wären wie Mozart, Beethoven, Brahms oder Chopin.
Der bedeutendste Vertreter ist wohl Mikalojus Konstantinas Čiurlionis (1875-1911), ein Komponist mit spätromantischen Wurzeln. Čiurlionis verfasste mehrere Orchesterwerke, Kammer-, Klavier- und Orgelmusik. Darüber hinaus widmete er sich der litauischen Volksmusik. Er sammelte eine Vielzahl von alten Liedern und bearbeitete sie. Im Alter von 27 Jahren begann er zu malen und wurde auch auf diesem Gebiet eine der führenden Kräfte, deren Werk bis heute stark gewürdigt wird.
Das Gesangs- und Tanzfestival Dainų šventė ist eines der wichtigsten musikalischen Ereignisse in Litauen. Das Liederfest wurde in Litauen zum ersten Mal 1924 organisiert. Seitdem hat es 17 mal stattgefunden, wobei gegenwärtig ein vierjähriger Rhythmus eingehalten wird.
In Estland (1869) und Lettland (1873) wurde die entsprechenden Pendants bereits früher ins Leben gerufen. Die Anregung zu dieser Art von Festivals geht zurück auf das allererste in Zürich (Schweiz), das im Jahr 1843 stattfand. Die Idee sprang anschließend nach Deutschland über, wo sie 1845 in Würzburg erstmals verwirklicht wurde. Über im Baltikum lebende Deutsche fasste die Tradition schließlich in den drei Ländern Fuß.
Das litauische Liederfest ist wie seine Verwandten in Estland und Lettland im Jahr 2003 von der UNESCO als "Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit" anerkannt und 2008 in die "Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes" aufgenommen worden.
Zur Jahrtausendfeier Litauens in 2009 bestand das Programm aus zahlreichen Veranstaltungen an verschiedenen Plätzen in Vilnius und in Kaunas, an denen rund 40.000 Menschen aktiv beteiligt waren, darunter auch sehr viele Auswanderer aus der ganzen Welt.
In der Zeit der sowjetischen Besatzung muss man das Liederfest auch immer im Zusammenhang mit den politischen Verhältnissen sehen. Das Singen der litauischen Nationalhymne und anderer Lieder mit nationalen Inhalten war unter den Sowjets strengstens verboten. Trotzdem wurde das Dainų šventė immer wieder subtil für Proteste gegen das Regime genutzt und war in den 1980er Jahren ein integraler Bestandteil der Unabhängigkeitsbewegung, die auch unter der Bezeichnung "Singende Revolution" bekannt geworden ist.
Die Sutartinės sind mehrstimmige Volkslieder, deren sehr alte Tradition nur im Osten und Nordosten Litauens gepflegt wird. Der Gesang wird manchmal von typisch litauischen Instrumenten und mit Tanzschritten begleitet. Das Besondere an diesen Liedern ist die Freiheit und Polyphonie der einzelnen Stimmen nicht nur in der Melodie, sondern auch beim Text und beim Rhythmus. Daraus ergibt sich ein sehr spannungsreicher und expressiver Charakter, der diese Musik einzigartig macht.
Sutartinės wurden bereits vor dem Beginn schriftlicher Aufzeichnungen gesungen und gehen wahrscheinlich auf heidnische Bräuche zurück. Sie wurden von Generation zu Generation mündlich weitergegeben. Die Sängerinnen, Sänger und Musiker treten bis heute meist in traditionellen litauischen Kostümen auf. Erstaunlich ist, dass sehr viele junge Menschen das alte Liedgut am Leben erhalten. Wer einen tieferen Einblick in die litauische Kultur und Mentalität gewinnen will, sollte sich diese Musik nicht entgehen lassen. Sie wurde 2010 übrigens ebenfalls in das Kulturerbe der Menschheit seitens der UNESCO aufgenommen.
Über litauische Popmusik muss man nicht allzu viele Worte verlieren. Sie folgt dem gleichen Schema und den gleichen Einflüssen wie überall in der Welt. Auf starkes Interesse beim Publikum stößt allerdings immer wieder der Eurovision Song Contest, an dem das Land seit den 1990er Jahren teilnimmt, sowie seine nationalen Vorentscheidungen.
Viel interessanter ist die litauische Jazz-Szene mit vielen hervorragenden jungen Bands und Musikern, aber auch "alten Hasen" wie Petras Vyšniauskas oder die Dainius Pulauskas Group. Jedes Jahr im Oktober findet im Rusų Dramos Teatras (Russisches Drama Theater) das Festival Jazz Vilnius statt. Es geht über vier Tage und vereint internationale Jazz-Größen und einheimischen Nachwuchs unter dem Label Vilnius Jazz Young Power.
Auf youtube gibt es unter dem Stichwort Sutartinės zahlreiche Beispiele für diese Musik. Auch Jazz und Pop sind gut vertreten.
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