Belarus
Auf ins Unbekannte!
Die heutige Religionslandschaft von Belarus hat ihre Wurzeln in der ereignisreichen Geschichte des Landes. Auch wenn die Bevölkerung an sich ziemlich homogen ist, unterteilt sie sich neben den Atheisten in Gläubige mehrerer Religionen. Neben dem Christentum und dessen Konfessionen gibt es im Belarus unter anderem den Islam, das Judentum sowie zahlreiche Religionsströmungen.
Die Religionsfreiheit ist im Grundgesetz der Republik Belarus verankert, sodass jeder seinem Glauben nachgehen kann, ohne benachteiligt zu werden. Außerdem unterstützt der Staat religiöse Organisationen mit Zuschüssen oder Steuervorteilen. Dieses Gleichgewicht bleibt ziemlich konstant, wobei hier einige politisch und kulturell bedingte Besonderheiten gibt.
Laut offiziellen Angaben des belarussischen Außenministeriums aus dem Jahr 2011 betrachten sich 58,9% aller Einwohner als gläubig, von diesen sind 82% Anhänger der orthodoxen Kirche, 12% sind katholisch und 6% gehören zu anderen Religionen oder Konfessionen. Eine Gallup-Studie aus dem Jahr 2008 behauptet dagegen, Religion spiele nur für 27% der Belarussen eine bedeutende Rolle in ihrem Alltag. Damit ist das Land also unter den Top 11 der am wenigsten religiösen Länder. Dies lässt sich zwar teilweise durch die sozialistische Vergangenheit erklären, ist jedoch nicht allein dadurch bedingt.
Die Zersplitterung zwischen dem Religiösen und Öffentlichen liegt tiefer in der belarussischen Identität. Selbst der Präsident Lukaschenko bezeichnete sich einmal als "orthodoxer Atheist", was nach einer kognitiven Dissonanz klingt, im osteuropäischen Bewusstsein jedoch Realität ist. Das lässt sich durch den Einfluss der orthodoxen Kirche erklären, da sie regierungsnah ist und gewisse Werte Russlands teilt und in Belarus präsentiert.
Wie steht es aber um die größten christlichen Konfessionen und inwiefern bedingen sie belarussische Vergangenheit und Gegenwart?
Die lange vorchristliche heidnische Epoche endete mit der Taufe der Kiewer Rus’ 988. Das Christentum verbreitete sich auch auf benachbarte Territorien und 992 wurde die Eparchie von Polozk gegründet. Das Polozker Fürstentum mit seinen Klöstern war ein bedeutendes Kultur- und Aufklärungsstandort, und so stärkte das orthodoxe Christentum seine Positionen.
Mit der Union von Lublin wurde ein neuer Staat, Polen-Litauen, gegründet, und mit der Zeit bekam die katholische Kirche immer mehr Einfluss, wobei die Territorien des Großfürstentums Litauen immer noch überwiegend orthodox waren. Beide Seiten suchten nach einer Lösung, um einerseits eigene Riten zu bewahren und andererseits den Einfluss des Moskauer Patriarchen zu vermindern.
1596 wurde mit der Kirchenunion von Brest die Uniatenkirche gegründet. Während das Primat des Papstes fortbestand, blieb die orthodoxe Liturgie unverändert. Viele Beschlüsse der Union wurde entweder nicht umgesetzt oder stießen auf Widerstand seitens der Bevölkerung.
Nach den Teilungen Polens bestand die Kirche bis ins 1875 fort, im russischen Zarenreich wurde die Union aufgehoben und die Bevölkerung gezwungen, zum orthodoxen Glauben zu konvertieren.
Auch in der Sowjetunion wurden Uniaten verfolgt. Ende 1980er Jahre erfuhr der unierte Glauben wieder einen Aufschwung, wobei sein Einfluss in Belarus deutlich geringer ist, als in der Ukraine. Heutzutage beträgt die Zahl der unierten Gläubigen in Weißrussland je nach Einschätzungen etwa 10 Tausend.
Der Protestantismus hat in Belarus einen besonderen Charakter. Der belarussische Adel galt zu seiner Zeit als sehr progressiv und offen für neue Ideen aus allen Bereichen der Kultur, Religion und Wissenschaft, und lutheranische und kalvinistische Ansichten fanden sehr schnell ins Großfürstentum Litauen.
Auch wenn die Gegenreformation die Positionen des Protestantismus deutlich geschwächt hatte, bestand er trotz aller weiteren Repressionen seitens der sowjetischen Regierung fort. Leider setzen viele Menschen gegenwärtige protestantische Organisationen mit Sekten gleich, was auf negativen Erfahrungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion beruht, als tatsächlich viele christliche Sekten aktiv in Belarus waren.
Heutzutage leben die meisten Katholiken und Protestanten im Westen des Landes, vor allem in den Brest- und Grodno-Gebieten.
Das Judentum in Belarus hat eine lange Geschichte seit dem Mittelalter und anschließend den Zeiten des Großfürstentums Litauen. Der Großfürst Vytautas der Große erteilte den jüdischen Bevölkerungsgruppen Privilegien, vor allen an Händler, was zum rasanten wirtschaftlichen Aufschwung führte. Dieser Aufschwung dauerte jedoch nicht lange, denn im 16. Jahrhundert, als aus dem Großfürstentum das neue Land Polen-Litauen entstand, kamen restriktive Maßnahmen gegenüber der jüdischen Bevölkerung.
Später, im russischen Zarenreich, wurde ein sogenannter Ansiedlungsrayon geschaffen, die Juden durften also nur auf bestimmten Territorien leben und arbeiten. Der Rayon streckte sich unter anderem über das ganze Territorium des heutigen Belarus’. In größeren Städten wie Minsk oder Grodno betrugt der Judenanteil über 16%, in kleineren wie Bobruisk zwischen 25% und 30%, in manchen Orten lag diese Zahl jedoch über 60%.
Im Zweiten Weltkrieg wurden von den 800.000 belarussischen Juden 90% ermordet. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte wanderten viele der Überlebenden nach Israel oder in die USA aus, so dass heute nur noch einige tausend Juden (nach verschiedenen Einschätzungen von 30 bis 60 Tausend) in Belarus leben. Nicht alle sind streng religiös, das Judentum wird in Weißrussland aber noch/wieder von 52 Gemeinden repräsentiert, die die größten Strömungen vertreten.
Der Islam ist in Belarus in erster Linie mit Lipka- Tataren verbunden. Der Großfürst Vytautas lud die Tataren zu Beginn des 15. Jahrhunderts in sein Fürstentum und die ersten Siedlungen wurden wenig später in der Nähe von Vilnius gegründet. Die Tataren behielten ihren Glauben, nahmen jedoch die Sprache, das Belarussische, an.
Sie verwendeten das belarussisch- arabische Alphabet, und auf diese Art entstanden Bücher, auch Kitab genannt, die ein einzigartiges Kulturgut der Epoche sind. Im Laufe der Zeit nahmen die Tataren auch slawische Namen an oder slawisierten ihre eigenen.
Die inoffizielle Hauptstadt der belarussischen Tataren ist die Stadt Iwje im Gebiet Grodno. Einst loyale Soldaten der fürstlichen Armee, betreiben sie heute Landwirtschaft oder sind auch in allen anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens tätig.
Das aktuelle religiöse Leben des Landes ist, zusammen mit der Literatur, eine Art Spiegel der heutige belarussischen Gesellschaft, die sich im Wandel befindet. Das kommt auch in der kirchlichen Sprachenpolitik zum Ausdruck.
Während die meisten Gottesdienste in orthodoxen Kirchen auf Russisch stattfinden, bemüht sich die katholische Kirche darum, möglichst viele belarussischsprachige Angebote für Jung und Alt zu haben, was sich auch auf Freizeitgestaltung ausstreckt.
Dazu kommt eine allgemeine Distanz der Christen verschiedener Glaubensrichtungen gegeneinander, die historisch bedingt ist: die zwei größten christlichen Konfessionen wurden oft zum Identitäts- oder sogar Nationsmerkmal in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, vor allem im russischen Zarenreich. Katholiken wurden dann oft zu "den Polen" gezählt, auch wenn es Belarussen waren. Andererseits waren Orthodoxen in Augen vieler "die Russen".
Die turbulenten 90er mit ihrem Wirtschaftskollaps und dem Zusammenbruch der Sowjetunion öffneten eine bis dato durch Ideologie oder gemeinschaftliche Werte gefüllte Lücke. Dort, wo es nunmehr weder einen Zusammenhalt noch ein klares gemeinsames Ziel mehr gab, wuchsen das Interesse und der Bedarf an Religion, an neuen Religionsströmungen. Leider führte dies in Belarus auch zum Einstieg in radikale Organisationen oder gar Sekten, wie z. B. die Vereinigungskirche (Moon-Bewegung) oder Satanisten. Aber auch andere, nicht gefährliche neue Religionen wie Bahai oder religiöse Organisationen buddhistischer Gesinnung sind heute in Weißrussland präsent.
Eine wachsende Zahl an Ausländern aus Asien und dem Osten, die sich als Studenten oder Arbeitskräfte überwiegend in der Hauptstadt Minsk aufhalten, beeinflusst dort nicht zuletzt das Stadtbild. So wurde 2016 in Minsk eine neue Moschee eingeweiht, während dessen der türkische Präsident Erdogan anwesend war.
Die Kathedralmoschee wurde unter anderem von der Türkei mitfinanziert und ist neben dem religiösen Zugeständnis an den Islam auch ein deutliches außenpolitisches Zeichen seitens beider Präsidenten. Sowohl Lukaschenko als auch Erdogan wollen damit der Großmacht Russland zeigen, dass ihre geopolitischen Vorstellungen nicht mehr strikt den russischen folgen.
Manche Belarussen sehen im Bau der Moschee eher eine zusätzliche Gefahr für potenzielle Radikalisierungen, was durch aktuelle Geschehnisse in Europa bedingt ist. Dazu sei dies eine ganz andere islamische Kultur als diejenige, die seit Jahrhunderten auf belarussischem Boden gepflegt ist, nämlich die der belarussischen Tataren, die sich kulturell und gesellschaftlich besser integriert hätten.
Fragen der Religion machen in Belarus nicht den größten Teil des öffentlichen Diskurses aus, aber das Erbe der Jahrhunderte mit seinen markanten sakralen Bauten, Literatur und gesellschaftlichen Ideen ist da und kann nicht ignoriert werden.
Und dieses Erbe warten darauf, von interessierten Touristen auf einer Reise nach Weißrussland entdeckt zu werden.
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