Czernowitz Reisen
Einstige Hauptstadt der Bukowina
Städte & Regionen der Ukraine
Für Literaturkenner ist eine Reise nach Czernowitz ein unvergessliches Erlebnis. Die alte Stadt am Pruth trägt den stolzen Beinamen "Stadt der toten Dichter" und brachte im Laufe der Zeit zahlreiche Dichter, Schriftsteller und Denker hervor. Sie ist reich an faszinierenden Sehenswürdigkeiten und für ihre mythische Atmosphäre bekannt. Es gibt viel zu entdecken, denn die facettenreiche Metropole bietet weit mehr als nur die Erinnerung an große Dichter.
Lange galt Czernowitz als Schmelztiegel der Kulturen und Symbol für die friedliche Koexistenz unterschiedlicher Völker. Die traditionelle Hauptstadt der historischen Landschaft Bukowina (Buchenland) gehörte viele Jahrhunderte zum Fürstentum Moldau, bis Österreich im Jahr 1774 die gesamte Region besetzte. Mit der Herrschaft der Habsburger begann die Blütezeit des Ortes, der sich dank der Einwanderungspolitik vom verschlafenen Provinzörtchen zur bedeutenden Metropole mit einzigartiger Völkervielfalt entwickelte. Insbesondere Armenier, Ungarn, Rumänen und Deutsche siedelten sich in Czernowitz an und viele Juden trugen die deutschsprachige Kultur in die beschauliche Stadt.
Die multiethnische Vielfalt zeigte sich auch im täglichen Leben, so wurden die Straßennamen auf den Schildern bis zum Ende des Ersten Weltkrieges jeweils in deutscher, rumänischer und ukrainischer Sprache angegeben. Die kulturelle Vielfalt fand mit dem Zweiten Weltkrieg ein jähes Ende; dennoch ist die Erinnerung an das harmonische Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen noch immer lebendig und die malerische Stadt begeistert auch in der heutigen Zeit mit einer weltoffenen und freundlichen Atmosphäre.
Das imposanteste Gebäude der Stadt ist der Komplex der Nationalen Jurij-Fedkowytsch-Universität. Dieses erhabene Bauwerk war einst die Residenz der Metropoliten und begeistert daher mit einer erhabenen Aura. Zu dem zwischen 1864 und 1882 errichteten Gebäudekomplex gehören ein Kloster, ein ehemaliges Priesterseminar, ein imposantes Kirchengebäude und eine weitläufige Parkanlage. Die gesamte Anlage gehört seit einigen Jahren zum UNESCO-Weltkulturerbe. Sie gilt als außergewöhnliches Zeugnis der kulturellen Bedeutung der orthodoxen Kirche und ihrer Traditionen. Zudem weist sie nach Ansicht der UNESCO-Kommission durch die Verwendung charakteristischer Muster und Formen auf die typische Kultur des Volkes der Bukowina hin.
Das nostalgisch anmutende Stadtbild wird überwiegend von Architekturensembles geprägt, die während der österreichisch-ungarischen Herrschaft entstanden sind. Gebäude aus dem 18. und 19. Jahrhundert erstrahlen in dekorativen Pastellfarben und erinnern an das alte Europa. Diese Architektur erinnert an die Zeit der k. u. k.-Monarchie und brachte der Stadt die liebevolle Bezeichnung "kleines Wien" ein. Im Herzen der Altstadt befindet sich der Zentralplatz. Das dominierende Gebäude ist ohne Zweifel das majestätische Rathaus mit dem zweistöckige Rathausturm. Von hier klingen jeden Tag zur Mittagszeit die Klänge eines Trompetenspiels über den Platz. Am Theaterplatz stehen das imposante Olha-Kobylanska-Theater sowie eine Statue der bekannten Nationaldichterin.
Eine der schönsten Straßen der Stadt ist die Olha-Kobyljanska-Straße, die nach der ukrainischen Schriftstellerin Olha Kobyljanska benannt wurde und als Flaniermeile zum Zentralplatz führt. Hier befindet sich das Paul-Celan-Literaturzentrum und die Besucher der Straße flanieren an zahlreichen Restaurants, Cafés und Geschäften vorbei. Sie zeigt ein harmonisch geschlossenes Straßenbild und versetzt die Besucher in die Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts. In der Vergangenheit trug die Straße den Namen Herrengasse und wurde in ganz Europa für ihre Sauberkeit gerühmt. So sollen die Hausmeister jeden Morgen die Straße mit Seife und warmem Wasser gereinigt und die Gehsteige mit Rosensträußen gefegt haben. Neben dem Deutschen Haus in der Olha-Kobyljanska-Straße 53 gibt es in der Stadt noch weitere Kulturhäuser wie das Polnische Haus, das Ukrainische Haus, das Rumänische Haus und das Jüdische Haus.
Im Jahr 1941 waren noch mehr als 50 Prozent der Einwohner jüdischen Glaubens. Das jüdische Leben ist inzwischen nahezu vollständig verschwunden, denn in der heutigen Zeit leben nur noch rund 3.000 Juden in Czernowitz. Rund 34.000 Juden wurden bis November 1941 nach Transnistrien deportiert und weitere Transporte folgten von Juni 1942 bis April 1943. Das endgültige Ende der kulturellen Vielfalt setzte mit der Einnahme der Stadt durch die Rote Armee ein. Verbliebene deutsche Bewohner wurden vertrieben und auch die Mehrheit der rumänischen Bevölkerung verließ die Stadt.
Das Jüdische Nationalhaus am Theaterplatz beherbergt das sehenswerte Museum für die Geschichte und Kultur der Juden in der Bukowina. Es ermöglicht den Besuchern Einblicke in das jüdische Leben und erinnert an die facettenreiche Kultur einer untergegangenen Welt. Auf dem jüdischen Friedhof an der Zelenastraße befinden sich auf 14,2 Hektar etwa 55.000 Gräber. Er ist ein eindrucksvolles Zeugnis der vielfältigen Kulturen, denn die Grabsteine zeigen deutsche, jiddische, ukrainische, rumänische, russische und hebräische Inschriften. Er zählt zu den größten jüdischen Friedhöfen in Mittel- und Osteuropa.
Auf unserer Judentum Rundreise Ukraine führen wir Sie in die bunte Welt der Chassiden und Ashkenazy, erzählen Legenden über den Baal Schem Tow und den Rabbi Nachman und zeigen Ihnen die Welt von Bruno Schulz und Joseph Roth, die ihrer Heimat und den Juden in ihren Büchern ein unvergängliches Denkmal setzten.
Liebevoll und mit leichtem Spott bezeichnen die Einheimischen die ukrainisch-orthodoxe Kathedrale St. Nikolaus in der Russka Str. 35 auch als betrunkene Kirche. Dieser Name verweist auf die faszinierend ungewöhnliche Form der kleinen Kuppeln, die verdreht wirken und bei Betrachtern daher Erstaunen und Verwirrung hervorrufen. Optisch entsteht so der Eindruck, dass sie sich zur großen Hauptkuppel neigen.
Die Kathedrale wurde Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet und die ungewöhnliche Architektur regte die Fantasie der Bevölkerung an. Schnell entwickelte sich eine Legende um die Entstehung des Gebäudes. Angeblich kam es während der Bauphase zu großen Verzögerungen, daher trafen die Baumeister eine verhängnisvolle Entscheidung. Sie mauerten ein junges Mädchen bei lebendigem Leib ein und die Bauarbeiten konnten anschließend ohne Probleme beendet werden. Durch das Leid und die Schmerzen des Mädchens verdrehten sich jedoch die Kuppeln und erinnern bis heute an das Unrecht. Das Innere der Kirche ist ebenfalls sehenswert und zeigt eine prächtige Ausstattung, zu der eine Ikonenwand und mehrere Malereien gehören.
Die älteste Kirche der Stadt ist die Holzkirche St. Nikolaus, deren genaues Entstehungsdatum nicht bekannt ist. Sie wurde 1992 durch ein Feuer nahezu zerstört und bis 1996 restauriert. Ebenfalls sehenswert ist die 1864 errichtete Kathedrale des Heiligen Geistes in der Holovna Str. 85. Auf dem Kirchengelände befindet sich ein Denkmal für den orthodoxen Metropoliten Bischof Eugenie Hacman. Weitere Sakralbauten sind die Wirmenische Kirche und die armenische Peter-und-Paul-Kirche im byzantinisch-gotischen Baustil. Letztere dient seit 1992 regelmäßig als Veranstaltungsort für die Orgelkonzerte der Philharmonie.
Die bedeutende Nationaldichterin Olha Kobylanska verbrachte einen großen Teil ihres Lebens in Czernowitz. Sie ist nicht die einzige Dichterin, die von der kulturellen Vielfalt der Stadt maßgeblich geprägt wurde. Paul Celan wurde 1920 in der Saksojanska Straße geboren. Er überlebte die Strapazen der rumänischen Arbeitslager und verarbeitete seine Erfahrungen später in literarischer Form. Sein berühmtestes Werk ist das Gedicht "Die Todesfuge" aus dem 1952 erschienenen Gedichtband "Mohn und Gedächtnis". Am Geburtshaus von Rose Ausländer in der Sagaydatschnogo Straße 56 erinnert eine Gedenktafel an die bekannte Dichterin. Czernowitz ist auch der Geburtsort des bekannten Chemikers und Schriftstellers Erwin Chargaff, der die Chargaff’schen Regeln aufstellte und kritische Essays zu kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Themen verfasste. Weitere Kinder der Stadt sind die Schriftsteller Itzig Manger, Alfred Kittner, Mihail Eminescu und Karl Emil Franzos sowie der Psychoanalytiker Wilhelm Reich. Eine Reise nach Czernowitz führt interessierte Besucher unweigerlich zu den Wurzeln bekannter Literaten und bedeutender Denker. Seit 2010 findet in der Stadt jährlich im September das Meridian Czernowitz Lyrikfestival statt. Neben Dichterlesungen, Theatervorstellungen, Konzerten und Buchvorstellungen gehören auch Diskussionsrunden zum Veranstaltungsprogramm.
Das Literaturfestival "Meridian Czernowitz" gehört schon heute zu den Hauptereignissen der deutschsprachigen Literaturszene in der Ukraine.
Eine Reise nach Czernowitz hält unzählige Entdeckungen bereit. Spannende Erlebnisse bieten ebenfalls Ausflüge in die Umgebung der Stadt. Sadohora liegt etwa 8 Kilometer von der Altstadt entfernt und ist inzwischen ein Teil von Czernowitz. In der Vergangenheit war der Ort ein bedeutendes Zentrum der jüdischen Chassiden. Von der prachtvollen Residenz des Rabbis Israel Friedman sind heute leider nur noch wenige Ruinen erhalten. Sein Grab ist erhalten und gilt unter chassidischen Juden als bedeutende Pilgerstätte.
Rund 70 Kilometer entfernt liegt die Kreisstadt Chotyn in der Oblast Tscherniwzi. Die bedeutendste Sehenswürdigkeit des Ortes ist die imposante Festungsanlage, die Schauplatz zahlreicher Schlachten war. Kamjanez-Podilskyj zählt zu den ältesten Städten der Ukraine und wurde bereits im Jahr 1106 erstmals urkundlich erwähnt. Sehenswert sind insbesondere die eindrucksvolle Festung aus dem 16. Jahrhundert, die idyllische Altstadt, die Verkündigungskirche im armenischen Viertel sowie die katholische Kathedrale.
Für Naturfreunde ist ein Ausflug zu den Naturschätzen unbedingt empfehlenswert. Die überwältigende Schönheit der ausgedehnten Wälder und die einzigartige Vielfalt der Arten überzeugte auch die UNESCO. Seit 2007 gehören die ukrainischen Wälder zum UNESCO-Welterbe, denn hier befinden sich die größten noch unberührten Mischwälder Europas, die als genetisches Reservoir für die Buche sowie unzählige Tier- und Pflanzenarten angesehen werden. In den östlichen Karpaten lebt das Volk der Huzulen, die bis Ende des 19. Jahrhunderts kaum Kontakt zur Außenwelt hatten. Zu den bekanntesten Fertigkeiten der Menschen gehören die Kupferarbeiten, Webereien sowie das Verzieren von Ostereiern. In Kolomyja gewährt ein Museum für Volkskunst Einblicke in die traditionelle Kultur dieses faszinierenden Volkes.
Die geschichtsträchtige Stadt Czernowitz in der Bukowina ist nicht nur ein empfehlenswertes Reiseziel für Literaturfreunde. Zahlreiche Sehenswürdigkeiten, gastfreundliche Menschen und die Spuren einer bewegten Vergangenheit lassen eine Reise in diese wunderbare Stadt zu einem unvergesslichen Erlebnis werden.
Glauben Sie nicht, dass Czernowitz eine Stadt ist. Es ist eine Welt. Es könnte genauso gut ein Vorort von Wien wie auch von New York sein. (Nora Gray, Schriftstellerin)
Im Jahre 1408, dem Fürstentum Moldau zugehörig, erstmals urkundlich erwähnt, war Czernowitz, die Stadt am Pruth, die auf einem wichtigen Handelsweg zum Schwarzen Meer lag, stets Ziel der Begierde vieler Mächte. Im 16. Jahrhundert wurde die Region von den Türken besetzt, bevor der Friede von Küçük Kaynarca im Jahre 1774 das Ende des Türkisch-Russischen Krieges besiegelte und die Bukowina 1775 an die Habsburger fallen ließ, unter deren Herrschaft Czernowitz; seit 1848 Hauptstadt des Kronlandes Bukowina, bis zum Ende des 1. Weltkrieges im Jahre 1918 zur kulturellen Blüte finden sollte.
In dieser Zeit entstand ein reiches kulturelles Schaffen sowie die eindrucksvolle Architektur, die der Stadt auch heute noch ihren besonderen Charme verleiht und so klingende Beinamen wie "Jerusalem am Pruth", "Klein-Wien" oder "Schweiz des Ostens" einbrachte. Wegweisend für den kulturellen Aufstieg Czernowitz´ war die multiethnische Zusammensetzung der Bevölkerung. Hier lebten Ukrainer, Juden, Rumänen, Armenier und Deutsche friedlich nebeneinander und prägten zusammen das Gemeinwesen und das kulturelle Leben der Stadt.
So bot Czernowitz ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine weit ausgebaute Zeitungslandschaft. Von 1848 bis 1940 wurden über 370 verschiedene Zeitungen verlegt, darunter 200 deutsche, 68 ukrainische, 50 rumänische, 28 polnische und 24 jüdische - ein beachtliches Angebot im Verhältnis zu anderen europäischen Städten dieser Zeit.
Auch der technische Fortschritt machte damals vor Czernowitz nicht halt. Eine elektrische Straßenbahn wurde 1897 sogar ein halbes Jahr früher als in Wien eingeführt. Leider musste dieses Projekt schon bald wegen technischer Komplikationen durch das auf- und absteigende Terrain in Czernowitz wieder aufgegeben werden.
Nach 1918 gehörte die Stadt unter dem Namen Cernauti zu Rumänien, von 1944 bis 1991 als Cernovcy zur Sowjetunion und seit der Unabhängigkeit, Chernivtsi genannt, zur Ukraine.
Eine bedeutende Rolle im kulturellen Leben und der Geschichte von Czernowitz spielte die jüdische Bevölkerung. Ihr Anteil betrug im Jahre 1910 ca. 30 %. Stummes Zeugnis der wechselvollen jüdischen Geschichte in Czernowitz legt der auf einer Anhöhe gelegene jüdische Friedhof ab, auf dem viele berühmte Czernowitzer ihre letzte Ruhestätte fanden, wie unter anderem die Protagonisten aus Volker Koepps eindrucksvollem Dokumentarfilm "Herr Zwilling und Frau Zuckermann". Als eine der letzten noch aus der Bukowina stammenden Juden, die Krieg und Vernichtung überlebten, geben sie in diesem Film Auskunft über Leben und Kultur der Stadt Czernowitz im 20. Jahrhundert.
Die wohl aus deutscher Sicht berühmtesten Vertreter der Stadt, ohne die die Deutsche Lyrik des 20. Jahrhunderts nicht zu denken ist, sind die Lyriker Paul Celan und Rose Ausländer, die Verfolgung und Vernichtung im Holocaust überlebten. Celan prägte über Czernowitz den Ausdruck, dass hier die Gegend sei, in der Menschen und Bücher lebten. Deutlich wird dies anhand der vielen, unterschiedlichen Literaten, die aus Czernowitz und seiner Umgebung stammen. Zu ihnen gehören auch Moses Rosenkranz, Alfred Margul-Sperber, Selma Meerbaum-Eisinger, Alfred Gong und Immanuel Weißglas. In ihrer Literatur blieb die Heimat ein wichtiger Bezugspunkt, egal wohin es sie nach den großen Kriegen verschlug oder in welcher Sprache sie schrieben - deutsch, jiddisch, ukrainisch oder rumänisch.
Im Jahr 2008 feierte die Stadt Czernowitz ihren 600. Geburtstag, was die Stadtväter zu umfangreichen Restaurierungs- und Verschönerungsaktionen inspirierte. Ein Grund mehr, dieses Kleinod der Bukowina zu besuchen. Lassen Sie sich in eine fast versunkene Kulturmetropole entführen, die aufgrund ihrer kaum vergleichbaren multiethnischen Geschichte und Kultur unvergessliche Eindrücke zu bieten hat.
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